Zur Abgrenzung und Unterscheidung zwischen Frachtvertrag und Lohnfuhrvertrag

Oberlandesgericht Düsseldorf, Urteil vom 05.10.2016 – I-18 U 134/15

Zur Abgrenzung und Unterscheidung zwischen Frachtvertrag und Lohnfuhrvertrag

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das am 05.08.2015 verkündete Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Krefeld (11 O 67/13) wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin bleibt nachgelassen, die Vollstreckung des Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund der Urteile vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.

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I.
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Die Klägerin, ein Versicherungsunternehmen, begehrt von dem Beklagten, einem einzelkaufmännischen Transportunternehmer, aus abgetretenem und übergegangenem Recht der P… GmbH (nachfolgend: P…) Ersatz von 74.397,92 € nach dem Diebstahl eines beladenen Lkw-Aufliegers.
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Zwischen dem Beklagten und der P… bestand seit Mai 2012 eine Geschäftsbeziehung. Im Rahmen dieser Geschäftsbeziehung fuhr der beim Beklagten beschäftigte Zeuge N… mit einem sog. Coil-Trailer im Wesentlichen Metallteile, insbesondere Walzbleche (Coils), von einem Ort zum anderen, wobei die P… ihm die jeweils anzusteuernden Orte mitteilte. Der Beklagte hielt bis zur Aufnahme der geschäftlichen Beziehung zur P… in seinem Betrieb keinen Coil-Trailer vor, sondern schaffte sich diesen erst im Kontext der Aufnahme der Geschäftsbeziehung an. Ein Coil-Trailer war Voraussetzung für eine Zusammenarbeit mit der P…. Die damit vom Zeugen N… durchgeführten Fahrten rechneten die P… und der Beklagte nach gefahrenen Kilometern ab. Die P… erteilte dem Beklagten insoweit monatliche Gutschriften. Zu den einzelnen Fahrten erhielt er von der P… darüber hinaus Telefaxe nach Art der Anlage K1 zur Klageschrift, deren Bedeutung zwischen den Parteien streitig ist. Die zu den jeweiligen Wagenladungen gehörenden quittierten Lieferscheine übersandte der Beklagte am Ende einer jeden Woche an die P….
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Ende November 2012 erhielt die P… von der M… GmbH den Auftrag, eine Ladung mit Werkzeugen von R… zur H. G… GmbH & Co. KG mit Sitz in M… zu transportieren. Die P… wollte für die notwendige Fahrt den Coil-Trailer des Beklagten nutzen, der durch Abdecken der Coil-Mulde für Paletten-Transporte umgerüstet werden konnte. Da die nach M… zu transportierende Ware vom Fahrer des Beklagten am 30.11.2012 übernommen und – nach dem Wochenende – am 03.12.2012 in M… angeliefert werden sollte, sollte der Sattelzug über das Wochenende abgestellt werden. Hierauf verständigten sich der Zeuge G… von der P… und der Zeuge N…. Letzterer stellte den kompletten Sattelzug am 30.11.2012 nach Übernahme von 25 Europaletten bei der M… GmbH absprachegemäß auf einem verschlossenen und kameraüberwachten Gelände in N… ab, das der Beklagte dort angemietet hatte. Weil die dort vorhandene Kamera nicht auf einen Sicherheitsdienst oder eine Polizeidienststelle aufgeschaltet war, wurde der Diebstahl des Aufliegers, den die Diebe dafür von der vorgespannten Zugmaschine des Beklagten trennten, in der Nacht vom 02. auf den 03.12.2012 zwar aufgezeichnet, ein Alarm jedoch nicht ausgelöst.
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Am 03.12.2012 meldete der Beklagte den Auflieger als gestohlen. Dieser wurde am 16.12.2012 in H… in den Niederlanden leer wieder aufgefunden. Die Staatsanwaltschaft Krefeld leitete wegen des Diebstahls unter dem Az. 25 UJs 28/13 ein Ermittlungsverfahren ein, das letztlich ergebnislos blieb. Die Diebe waren auf den Videoaufnahmen nicht zu identifizieren. Der Transportversicherer der M… GmbH regulierte den von dieser geltend gemachten Schaden infolge des Warenverlusts durch Zahlung von 73.278,02 €, berechnet nach einem Warengewicht von 7.443 kg und einer Höchsthaftung von 8,33 SZR pro kg bei einem Umrechnungskurs von 1,1819 € pro SZR am 02.12.2012. Der Transportversicherer der M… GmbH übernahm darüber hinaus die Kosten für einen Schadensbericht des Havariekommissariats J… in Höhe von 1.119,90 €. Wegen der Einzelheiten dieses Berichts wird auf die bei der Akte befindliche Ablichtung desselben (Anlage K8, Bl. 23-29 GA) Bezug genommen. Wegen der ihr entstandenen Gesamtkosten von 74.397,92 € nahm der Transportversicherer der M… GmbH die P… in Anspruch. Diese trat ihre Ansprüche an den Beklagten aus dem Auftrag vom 30.11.2012 schriftlich an die Klägerin ab. Wegen der Einzelheiten der Abtretungserklärung wird auf die bei der Akte befindliche Ablichtung (Anlage K10, Bl. 31 GA) verwiesen.
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Die Klägerin hat behauptet, sie sei Transportversicherer der P… und habe für diese am 19.08.2013 die Forderung des Versicherers der M… GmbH abzüglich des Selbstbehalts der P… reguliert. Dem Beklagten sei am 30.11.2012 um 12:19 Uhr vom Zeugen G… mit dem Telefax gemäß Anlage K1 ein Frachtauftrag erteilt worden. Erst danach habe ein Telefongespräch mit dem Zeugen N… stattgefunden. Der Fahrer des Beklagten habe daraufhin den CMR-Frachtbrief gemäß Anlage K2 (Bl. 7 GA) ausgestellt. Auf den später gestohlenen Coil-Trailer seien am 30.11.2012 gegen 14:00 Uhr die aus den beiden Lieferrechnungen der M… GmbH vom 03.12.2012 (Anlagen K5 und K6, Bl. 10-14 GA) ersichtlichen elektrischen Werkzeuge und Werkzeugteile aufgeladen worden, ausgenommen die Position 70 aus der Anlage K5.
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Die Klägerin hat beantragt,
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den Beklagten zu verurteilen, an sie € 74.397,92 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.09.2013 zu zahlen.
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Der Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Der Beklagte hat behauptet, mit der P… sei vereinbart gewesen, dass er für Stahltransporte ein bemanntes Fahrzeug nach Weisung zur Verfügung stellen sollte. Den Coil-Trailer habe er ausschließlich für diesen Zweck angeschafft. Der Sattelzug mit dem streitgegenständlichen Auflieger habe allein für die P… auf Abruf zur Verfügung gestanden. Sein Fahrer habe die Aufträge der P… stets als erster erhalten. Dies gelte auch für den streitgegenständlichen Auftrag vom 30.11.2012, infolge dessen der Auflieger an jenem Tag zwischen 10 und 11 Uhr bei der M… GmbH in R… beladen worden sei. Telefaxe über diese Aufträge seien ihm, dem Beklagten, immer erst im Nachgang und nur zum Zweck der Kontrolle der Frachtgutschriften, also zu Abrechnungszwecken, zugegangen. Das Telefax gemäß Anlage K1 habe er erst am 03.12.2012 zu Gesicht bekommen. Am 30.11.2012 sei es erst um 18:19 Uhr in seinem Büro eingegangen, als er dieses schon verlassen hatte. Den CMR-Frachtbrief gemäß Anlage K2 habe nicht der Zeuge N…, sondern er selbst auf die Bitten des ihn vernehmenden Polizeibeamten gefertigt. Der Beklagte hat die Ansicht vertreten, dass er für den Warenverlust nicht hafte, da mit der P… nur ein Lohnfuhrvertrag bestanden habe. Im Übrigen beruhe der Diebstahl aber auch auf einem unabwendbaren Ereignis und es treffe die P… hieran ein Mitverschulden infolge der fehlenden Wertdeklaration. Wenn ihm oder seinem Fahrer der Ladungsinhalt bekannt gewesen wäre, wäre der Auflieger, so hat der Beklagte behauptet, nicht am späteren Diebstahlsort abgestellt worden.
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Das Landgericht hat Beweis erhoben aufgrund der Beweisbeschlüsse vom 19.03.2014, 16.05.2014, 02.07.2014 und 18.09.2014 durch Vernehmung der Zeugen W…, S…, G…, N… und H…. Wegen des Umfangs und Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Beschlüsse (Bl. 65-66, 106-107, 126, 173 und 178 GA), die schriftliche Aussage der Zeugin W… (Bl. 83-84 GA), die Protokolle der mündlichen Verhandlungen vom 16.04.2014 (Bl. 85-87 GA) und 09.07.2014 (Bl. 143-148 GA) sowie das Protokoll der Beweisaufnahme vor dem niederländischen Gericht in Limburg (Bl. 240-242 GA) Bezug genommen. Nach Beweisaufnahme hat das Landgericht die Klage mit einem im Tatbestand durch Beschluss vom 03.09.2015 berichtigten Urteil vom 05.08.2015, auf das wegen der weiteren Sachdarstellung gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO verwiesen wird, abgewiesen. Zur Begründung hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt, dass nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht feststehe, dass zwischen den Parteien ein Fracht- und nicht lediglich ein Lohnfuhrvertrag geschlossen worden sei. Pflichten aus einem Lohnfuhrvertrag habe der Beklagte jedoch nicht verletzt. Ein Verwahrungsvertrag über die entwendeten Güter sei zwischen den Parteien nicht zustande gekommen. Wegen der weiteren Einzelheiten der Urteilsbegründung wird auf die Entscheidungsgründe (Bl. 307-311 GA) Bezug genommen.
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Die Klägerin hat gegen das ihr am 05.08.2015 zugestellte Urteil am 07.09.2015 bei dem Oberlandesgericht Düsseldorf Berufung eingelegt, die sie nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 05.11.2015 mit einem an diesem Tag bei Gericht eingegangenen Schriftsatz begründet hat. Die Klägerin rügt das landgerichtliche Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens als fehlerhaft.
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Die Klägerin ist der Ansicht, das Landgericht habe zu einer anderen Entscheidung kommen müssen, weil es im Tatbestand formuliert habe, dass die P… den Beklagten mit dem Transport beauftragt habe. Dies sei mit dem Telefax vom 30.11.2012 (Anlage K1) auch tatsächlich geschehen. Die Ladungsübernahme stelle sich vor diesem Hintergrund als konkludente Annahmeerklärung dar. Für den Frachtauftrag spreche gemäß § 409 HGB auch der Inhalt des CMR-Frachtbriefs gemäß Anlage K2. Bei der Abgrenzung von Fracht- und Lohnfuhrvertrag habe das Landgericht schon die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast verkannt. Es habe nicht gesehen, dass die Darlegungs- und Beweislast für den Abschluss eines Lohnfuhrvertrages beim Beklagten liege. Darüber hinaus habe es die Sachverhaltseinzelheiten nicht zutreffend gewürdigt. So fehle es nach der Aussage des Zeugen G… an dem den Lohnfuhrvertrag charakterisierenden Merkmal eines „ausschließlichen Einsatzes des Fahrers für den Auftraggeber“. Im Streitfall habe die P… zudem nicht dem Fahrer, sondern dem Beklagten selbst den Auftrag erteilt. Die Ansicht des Landgerichts, der Beklagte habe keinen Einfluss auf das „Wie“ des Einsatzes des Fahrers gehabt, sei nicht richtig. Vielmehr habe die P… gegenüber dem Zeugen N… keine solche Weisungsbefugnis gehabt. Darüber hinaus habe das Landgericht verkannt, dass die „Dispositionsbefugnis über den Fahrer“ kein entscheidendes Abgrenzungsmerkmal der Vertragstypen sei. Von den Merkmalen eines Lohnfuhrvertrages seien diejenigen des „wirtschaftlichen Vorteils aus der Nutzung des überlassenen Fahrzeugs ausschließlich beim Auftraggeber“ und der „Berechtigung des Auftraggebers, unmittelbar verbindliche und umfassende Weisungen den Fahrern zu erteilen“ nicht erfüllt. Nur wenn alle Kriterien des Lohnfuhrvertrages erfüllt seien, sei es gerechtfertigt, die §§ 425 ff. HGB nicht anzuwenden. Soweit das Landgericht angenommen habe, eine analoge Anwendung dieser Vorschriften komme mangels Kenntnis des Beklagten vom Ladungsinhalt nicht in Betracht, habe es die Anlage K1 und den Vortrag der Klägerin nebst Beweisantritten übergangen. Jedenfalls hafte der Beklagte entgegen der Annahme des Landgerichts aber aus einem Verwahrungsverhältnis. Der Beklagte habe spätestens mit dem Verschließen seines Betriebshofes alleinigen unmittelbaren Besitz am Ladungsgut erlangt. Er habe auch gewusst, dass ein beladenes Fahrzeug über das Wochenende auf dem Betriebshof stand. Die Pflichtverletzung im Verwahrungsverhältnis bestehe darin, dass die vorhandene Alarmanlage nicht auf eine Alarmzentrale aufgeschaltet gewesen sei.
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Die Klägerin beantragt,
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das Urteil des Landgerichts Krefeld vom 05.08.2015 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, an sie € 74.397,92 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.09.2013 zu zahlen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Der Beklagte verteidigt das landgerichtliche Urteil unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens als zutreffend. Er ist der Ansicht, dass sich die Klägerin nicht auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils berufen könne, weil sich aus den Entscheidungsgründen ergebe, dass der streitgegenständliche Transport nicht auf der Grundlage eines Frachtvertrages erfolgte. Die Angriffe der Klägerin gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts gingen fehl. Entgegen der Ansicht der Klägerin sei der Auftrag von der P… nicht mit dem Telefax gemäß Anlage K1 erteilt, sondern der Fahrer unmittelbar beauftragt worden. Der CMR-Frachtbrief gemäß Anlage K2 habe dem Transport nicht zugrunde gelegen, sondern sei auf Wunsch des vernehmenden Polizeibeamten nachträglich von ihm, dem Beklagten, gefertigt worden. Er selbst habe den Frachtbrief sowohl im Feld 22 wie auch im Feld 23 unterschrieben. Das Landgericht habe die vertragliche Beziehung zwischen der P… und ihm zutreffend als Lohnfuhrvertrag eingeordnet. Zutreffend habe es auch Ansprüche aus einem Verwahrungsvertrag verneint. Zum einen habe der Zeuge N… das Fahrzeug ohne seine, des Beklagten, Kenntnis am späteren Diebstahlsort abgestellt, zum anderen sei das Abstellen eine reine Gefälligkeit gewesen. Im Übrigen habe er die in einem etwaigen Verwahrungsverhältnis einzuhaltende Sorgfalt auch eingehalten.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf die Berufungsbegründung der Klägerin vom 05.11.2015 (Bl. 354-366 GA) sowie die Berufungserwiderung des Beklagten vom 05.02.2016 (Bl. 399-406 GA) Bezug genommen.
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II.
22
Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Das angefochtene Urteil beruht weder auf einer Rechtsverletzung noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung. Der Klägerin steht der gegen den Beklagten aus übergegangenem und abgetretenem Recht geltend gemachte Anspruch nicht zu, weil schon der P… kein entsprechender Anspruch gegen den Beklagten zustand.
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1.
24
Die Klägerin ist nach dem Ergebnis der landgerichtlichen Beweisaufnahme für den Abschluss eines Vertrages zwischen der P… und dem Beklagten, aus dem sich Ansprüche gegen den Beklagten in direkter oder analoger Anwendung der §§ 425 ff. HGB ergeben könnten, beweisfällig geblieben.
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a)
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Entgegen ihrer Ansicht ist das Landgericht zutreffend von der Darlegungs- und Beweislast der Klägerin für ein entsprechendes Vertragsverhältnis ausgegangen. Diese Verteilung der Darlegungs- und Beweislast entspricht dem allgemeinen zivilprozessualen Grundsatz, dass jede Partei die tatsächlichen Voraussetzungen der für sie günstigen Tatbestandsmerkmale einer Norm darlegen und ggf. auch beweisen muss. Nachdem der Beklagte bestritten hatte, für die P… auf der Grundlage von Frachtverträgen tätig geworden zu sein, sondern unter Beschreibung seiner Arbeitsweise eingewandt hatte, dass er als Lohnfuhrunternehmer gehandelt habe, oblag es mithin der Klägerin, die Voraussetzungen eines Frachtvertrages oder eines Vertrages mit gleichen Haftungsfolgen zu beweisen.
27
b)
28
Das Landgericht hat den von der Klägerin behaupteten Frachtvertrag aufgrund der Umstände des Falles hinsichtlich seiner tatsächlichen Voraussetzungen auch zutreffend von einem sog. Lohnfuhrvertrag abgegrenzt. Gemäß § 407 Abs. 1 HGB verspricht der Frachtführer mit dem Frachtvertrag, einem Unterfall des Werkvertrages, die Ortsveränderung des Transportguts als Erfolg seiner Tätigkeit. Zu diesem Zweck nimmt er – unter Begründung zumindest mittelbaren Besitzes – das Transportgut in seine Obhut und übernimmt für es für die Dauer des Transports die Verantwortung. Demgegenüber übernimmt es der Fuhrunternehmer bei dem gesetzlich nicht gesondert geregelten Lohnfuhrvertrag regelmäßig nicht, unter Übernahme von Obhutspflichten einen Transporterfolg herbeizuführen. Er erfüllt seine Vertragspflichten vielmehr typischerweise schon mit der Überlassung eines Transportmittels und der Überlassung der Arbeitskraft einer Transportmittelbesatzung (siehe Koller, in: ders., Transportrecht, 8. Aufl., § 407 HGB Rn. 18; Merkt, in: Baumbach/Hopt, HGB, 37. Aufl., § 407 Rn. 14). Zwar gibt es keinen rechtlich eindeutig festgelegten Begriff des Lohnfuhrvertrages (BGH, Beschluss vom 04.04.2016 – I ZR 102/15, zitiert nach juris). Dieser Vertrag kann daher unterschiedlich ausgestaltet sein und Elemente eines Dienstvertrages, Dienstverschaffungsvertrages, Werkvertrages und Mietvertrages, jeweils zu unterschiedlichen Anteilen, enthalten. So handelt es sich um einen Vertrag, der sowohl Elemente eines Mietvertrages als auch der Dienstverschaffung enthält, wenn mit ihm ein Fahrzeug mit Fahrer zur beliebigen Ladung und Fahrt nach Weisung des Auftraggebers zur Verfügung gestellt wird (BGH, Beschluss vom 04.04.2016 – I ZR 102/15, zitiert nach juris; siehe zum Ursprung dieser Definition Temme, TranspR 2012, 419). Bei Vorliegen der letztgenannten Voraussetzungen ist der Auftragnehmer aber nach einhelliger Auffassung nicht der verschuldensunabhängigen Obhutshaftung des § 425 Abs. 1 HGB unterworfen. Stattdessen beschränkt sich seine Haftung darauf, ein geeignetes Transportmittel und qualifiziertes Personal am vereinbarten Platz zur vereinbarten Zeit in gebrauchstauglicher Weise zur Verfügung zu stellen (Koller, in: ders., Transportrecht, 8. Aufl., § 407 HGB Rn. 18).
29
c)
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Wie das konkrete Vertragsverhältnis rechtlich einzuordnen ist und welche Konsequenzen diese Einordnung hat, ist stets aufgrund der Umstände des Einzelfalls zu beantworten (BGH, Beschluss vom 04.04.2016 – I ZR 102/15, zitiert nach juris). Diese Umstände hat das Landgericht hier rechtsfehlerfrei festgestellt und daraus den zutreffenden rechtlichen Schluss gezogen, dass die Klägerin für die Voraussetzungen eines Frachtvertrages beweisfällig geblieben ist. Dass sich das Landgericht von den entsprechenden Voraussetzungen aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme keine sichere Überzeugung hat bilden können, begegnet im Rahmen des Grundsatzes freier richterlicher Beweiswürdigung gemäß § 286 ZPO keinen Bedenken. Konkrete Anhaltspunkte, die gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen könnten, zeigt die Berufung nicht auf.
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aa)
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Soweit die Klägerin gegen das landgerichtliche Urteil anführt, das Landgericht habe im Urteilstatbestand einen Transportvertrag festgestellt, weshalb seine nachfolgende rechtliche Subsumtion zwingend zu einer Anwendung des Frachtrechts habe führen müssen, geht dieser Berufungsangriff fehl. Die von der Klägerin insoweit zitierte Formulierung des Tatbestands des landgerichtlichen Urteils („Mit dem Transportauftrag beauftragte sie den Beklagten.“) meint vor dem Hintergrund der Entscheidungsgründe ersichtlich nichts anders als die Erteilung eines Beförderungsauftrags, ohne dass damit schon eine bestimmte rechtliche Einordnung, insbesondere hinsichtlich eines vom Beklagten geschuldeten Transporterfolgs, verbunden sein sollte.
33
bb)
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Entgegen der Ansicht der Klägerin ergibt sich auch aus der von ihr vorgelegten Anlage K1 (Bl. 6 GA) nicht, dass zwischen den Parteien ein Frachtvertrag geschlossen worden ist. Das mit „Transportauftrag“ überschriebene Telefax ist mit diesem Begriff für jeden der beiden hier in Betracht kommenden Vertragstypen, Frachtvertrag oder Lohnfuhrvertrag, offen. Ohnehin spielen die von den Parteien gewählten Begriffe bei der Abgrenzung nur eine zweitrangige Rolle (Koller, TranspR 2013, 140, 141). Noch aus anderen Gründen lässt sich aus dem Telefax nichts für einen Frachtauftrag herleiten. Der in das Fax aufgenommene Hinweis „Nach Ablieferung der Sendung benötigen wir den vom Empfänger quittierten Frachtbrief / Lieferschein oder Ladeschein.“ spricht eher für einen Lohnfuhrvertrag. Liefert der Fahrende oder der Auftragnehmer – wie hier – unterzeichnete Lieferscheine nach der Fahrt beim Auftraggeber ab, kann dies ein Hinweis darauf sein, dass er nur Lohnfuhrunternehmer und nicht Frachtführer ist, weil nur derjenige, der einen Ablieferungserfolg schuldet, die Papiere als Beweismittel braucht (Temme, TranspR 2012, 419, 422). Gegen einen Frachtvertrag spricht hier zudem, dass das Telefax keinerlei Hinweise auf anzuwendende Frachtvorschriften, geltende Allgemeine Geschäftsbedingungen oder Regelwerke wie die ADSp enthält.
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Es kommt hinzu, dass die Klägerin für nahezu sämtliche Behauptungen zur Anlage K1 beweisfällig geblieben ist. So hat sie schon nicht beweisen können, dass dem Beklagten das Telefax vor der Auftragserteilung an den Fahrer, den Zeugen N…, vorlag. Das Gegenteil ist der Fall. Der von ihr selbst benannte Zeuge G… hat bestätigt, die betreffende Fahrt zunächst mit dem Zeugen N… abgesprochen zu haben, bevor das Fax verschickt worden ist. Dass das Telefax dem Beklagten vor dem 03.12.2012 zur Kenntnis gelangte, ist ebenfalls nicht bewiesen. Zwar spricht manches dafür, dass es tatsächlich am 30.11.2012 gegen Mittag versandt wurde. Für die bestrittene Kenntnisnahme durch den Beklagten noch am gleichen Tag hat die Klägerin indes keinen Beweis angetreten. Nachdem sie erstinstanzlich auf den Zeugen K… verzichtet hat (vgl. Bl. 87 GA), hat sie auch keinen Beweis mehr dafür angetreten, dass die Ladung erst nach dem Faxversand gegen 14:00 Uhr vom Zeugen N… übernommen worden ist und nicht schon alsbald nach dem Telefongespräch zwischen den Zeugen G… und N….
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cc)
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Auch aus der zur Akte gereichten Ablichtung eines CMR-Frachtbriefs (Anlage K2) vermag die Klägerin nichts zu ihren Gunsten herzuleiten. Zum einen ist sie dem präzisierenden Vortrag des Beklagten in der Berufungserwiderung, er habe den CMR-Frachtbrief gemäß Anlage K2 auf Bitten des ihn vernehmenden Polizeibeamten nachträglich erstellt und in beiden Unterschriftsfeldern – wofür die beiden einander ähnelnden Paraphen sprechen – selbst unterzeichnet, nicht mehr substantiiert entgegengetreten. Zum anderen kommt dem Frachtbrief ungeachtet des Streits der Parteien über sein Entstehen auch deshalb kein ausschlaggebender Beweiswert zugunsten der Klägerin zu, da sie selbst nicht vorträgt, der Frachtbrief sei – wie dies § 409 HGB verlangt – von beiden Parteien im Sinne des § 409 Abs. 1 HGB unterzeichnet worden.
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dd)
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Auch im Übrigen lässt die Beweiswürdigung des Landgerichts keine Fehler erkennen. Soweit die Klägerin lediglich ihre eigene Würdigung der Beweise an die Stelle derjenigen des Landgerichts setzt, ergeben sich daraus keine Anhaltspunkte, die gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der erstinstanzlichen Feststellungen begründen. Die eigene Bewertung der unstreitigen Umstände und protokollierten Zeugenaussagen durch den Senat führt zu keinem anderen als dem landgerichtlichen Ergebnis.
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Eine schriftliche Vereinbarung, aus der – ggf. im Wege der Auslegung – frachtrechtliche Pflichten des Beklagten entnommen werden könnten, vermochte die Klägerin im gesamten Verfahren nicht vorzulegen. Die infolgedessen zu betrachtende gelebte Vertragspraxis kam, so wie die Zeugen G… und N… sie geschildert haben, einem Vertragstypus nahe, der in der Literatur mitunter als voll überlassender Lohnfuhrvertrag bezeichnet wird (vgl. Temme, TranspR 2012, 419, 424). Zwischen der P… und dem Beklagten bestand zum streitgegenständlichen Zeitpunkt ein einem Dauerschuldverhältnis ähnelndes Vertragsverhältnis. Der Beklagte hat sich den Coil-Trailer, hieran kann nach dem erstinstanzlichen Beweisergebnis kein vernünftiger Zweifel bestehen, extra für dieses Vertragsverhältnis angeschafft und ihn ausschließlich in seinem Rahmen eingesetzt. In die Vertragsabwicklung war er darüber hinaus mit Ausnahme der Übersendung der Lieferscheine und Entlohnung des Zeugen N… nicht nennenswert involviert, weil die entscheidenden Absprachen mit dem Zeugen N… stattfanden, der Hauptansprechpartner für die P… und mit dem angeschafften Auflieger für diese fast pausenlos im Einsatz war. So wie die Zeugen G… und N… die Abläufe geschildert haben, war der Beklagte in der Organisation der Transporte nicht frei, sondern sein Fahrer unterlag umfänglich den Weisungen der P…, die letztlich auch das „Wie“ des Transports betrafen. Das zeigt gerade auch der streitgegenständliche Transport, bei welchem das Transportgut an einem Freitag übernommen, aber erst am darauf folgenden Montag angeliefert werden sollte. Die Abläufe waren einer Eingliederung des Zeugen N… in den Betrieb der P… sehr stark angenähert. Die P… behandelte den Zeugen arbeitsorganisatorisch praktisch wie einen eigenen Arbeitnehmer.
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Dafür, dass der Beklagte das Transportgut dessen ungeachtet in seine Obhut und Verantwortung übernehmen wollte mit der Folge, dass eine verschuldensunabhängige Obhutshaftung nach § 425 Abs. 1 HGB begründet sein könnte, fehlt es an ausreichenden Anhaltspunkten. Die Klägerin hat solche jedenfalls nicht zu beweisen vermocht. In dem bloßen Abstellen des Sattelzugs über das Wochenende auf dem vom Beklagten angemieteten Gelände in N… kann eine für einen Frachtvertrag notwendige Inobhutnahme nicht sicher gesehen werden. Das Ergebnis der Beweisaufnahme spricht vielmehr dafür, dass der Fahrer N… wegen der weitgehenden Weisungsbefugnisse der P… zu ihrem Besitzdiener geworden ist (vgl. zu dieser Fallkonstellation Koller, TranspR 2013, 140, 143). Dies gilt gerade auch für den streitgegenständlichen Transport. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass der Zeuge G… das Abstellen des Aufliegers mit der Ladung nur mit dem Zeugen N… besprochen hat. Das nachfolgende Telefax an den Beklagten (Anlage K1) enthält keinerlei Hinweise auf die zwischen den Zeugen insoweit besprochenen Modalitäten.
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Bei der Einordnung des Vertragsverhältnisses ist schließlich nicht maßgeblich, wie das Landgericht zutreffend gesehen hat, wie der für die P… tätige Zeuge G… den Vertrag zwischen der P… und dem Beklagten rechtlich eingeordnet hat (vgl. auch OLG Nürnberg, Urteil vom 14.04.2015 – 3 U 1573/14, zitiert nach juris, dort Tz. 15). Entscheidend ist hier vielmehr die von der P… und dem Beklagten gelebte Vertragspraxis, wie sie die Zeugen geschildert haben. Diese spricht eher für einen Lohnfuhr- als für einen Frachtvertrag.
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ee)
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Soweit das Landgericht auch noch angenommen hat, der Beklagte habe vom Ladungsinhalt und dem Abstellen des Trailers auf dem angemieteten Gelände in N… keine Kenntnis gehabt habe, worin die Klägerin eine fehlerhafte Nichtberücksichtigung ihres Vortrags zur Anlage K1 und ihrer Beweisantritte hierzu sieht, kommt es auf eine solche Kenntnis des Beklagten hier nicht an. Die zwischen den Parteien gelebte Vertragspraxis rechtfertigt, den streitgegenständlichen Transport eingeschlossen, eine Anwendung der §§ 425 ff. HGB – weder unmittelbar noch analog – selbst im Falle einer solchen Kenntnis nicht. Die bloße Kenntnis wäre angesichts der von der P… und dem Beklagten gelebten Vertragspraxis kein hinreichender Anhaltspunkt bzw. kein ausreichendes Kriterium dafür, dass sich der Beklagte einer Obhutshaftung nach § 425 Abs. 1 HGB unterwerfen wollte bzw. dass eine entsprechende Anwendung der §§ 425 ff. HGB auf das Vertragsverhältnis gerechtfertigt wäre.
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2.
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Ein Schadensersatzanspruch der P… gegen den Beklagten aus § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB aufgrund der Verletzung von Pflichten aus einem Lohnfuhrvertrag scheidet aus. Wie eingangs bereits ausgeführt, ist der Auftragnehmer eines Lohnfuhrvertrages typischerweise nur verpflichtet, ein geeignetes Transportmittel und qualifiziertes Personal am vereinbarten Platz zur vereinbarten Zeit in gebrauchstauglicher Weise zur Verfügung zu stellen (vgl. Koller, in: ders., Transportrecht, 8. Aufl., § 407 HGB Rn. 18). Dafür, dass der Beklagte diese Pflichten vorliegend verletzt hat, ist weder etwas vorgetragen noch ersichtlich.
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Auch wenn der Beklagte aus dem Lohnfuhrvertrag nicht nur für ein Auswahlverschulden hinsichtlich des eingesetzten Transportmittels und Personals, sondern auch für die ordnungsgemäße Durchführung der Fahrt vom Übernahme- zum Empfangsort haften sollte (vgl. Temme, TranspR 2012, 419, 424), kommt hier ein Schadensersatzanspruch der P… mangels Pflichtverletzung des Beklagten nicht in Betracht. Die von der Klägerin gerügte Nichtaufschaltung der in N… vorhandenen Videoüberwachungsanlage auf eine Alarmzentrale stellt keine Pflichtverletzung dar, weil eine solche Aufschaltung damals gegenüber der P… nicht geschuldet war. Die P… und der Beklagte haben eine solche Beschaffenheit des Abstellplatzes nicht vereinbart, die Aufschaltung der Überwachungskamera auf eine Alarmzentrale war auch nicht Gegenstand der Absprache zwischen den Zeugen G… und N….
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3.
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Auch ein Schadensersatzanspruch der P… gegen den Beklagten aus § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB aufgrund der Verletzung etwaiger Pflichten aus einem gesondert geschlossenen unentgeltlichen Verwahrungsvertrag gemäß § 688 BGB über das Abstellen des Trailers für die Dauer des Wochenendes scheidet aus. Pflichten aus einem solchen Verwahrungsverhältnis, für die der abgemilderte Haftungsmaßstab des § 690 BGB gelten würde, hat der Beklagte nach dem Vorstehenden nicht verletzt.
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III.
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Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Ein Grund zur Zulassung der Revision besteht nicht. Die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.
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Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 74.397,92 € festgesetzt.

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